Dr. M. Razavi Rad
Die Notwendigkeit eines konstruktiven Dialogs und Gedankenaustausches auf internationaler Ebene ist kein neues Phänomen im Islam sondern mindestens genauso alt wie der Islam selbst.
Gott ruft uns nicht nur zum Dialog und Gedankenaustausch auf sondern sieht gleichzeitig die Würde des Menschen darin. Hierzu lesen wir im heiligen Koran:
فَبَشِّرْ عِبَادِ الَّذِينَ يَسْتَمِعُونَ الْقَوْلَ فَيَتَّبِعُونَ أَحْسَنَهُ.
Gib denn die frohe Botschaft Meinen Dienern; es sind diejenigen, die auf das Wort hören und dem besten von ihm folgen.” [Sure az-Zumar (39), Vers 18]
لاَ إِكْرَاهَ فِي الدِّينِ، قَدْ تَبَيَّنَ الرُّشْدُ مِنَ الْغَيِّ.
“Es gibt keinen Zwang im Glauben. Der richtige Weg ist nun klar erkennbar geworden gegenüber dem Irrtum.” [Sure al-Baqara (2), Vers 256]
Die beiden erwähnten Verse verweisen auf eine freie und neugierige Seele, die ein religiöser Mensch hinsichtlich der Kultur und Denkweise besitzen sollte. Die Frage, die jetzt eventuell aufkommt, ist, ob sich Dialog und Gedankenaustausch erübrigen, da die Religion sich immer im Recht und auf dem richtigen Weg weiß.
Die Antwort wäre dann, dass das Überzeugtsein von Dialog und Gedankenaustausch nie im Widerspruch zu religiöser Überzeugung und dem Praktizieren ihrer Gebote und Verbote steht. Denn ein Dialog kann nicht zustande kommen, wenn die Ideen und kulturellen Werte einer Gesellschaft nicht respektiert werden.
Was können von sich entfremdete und unkultivierte Menschen zum Dialog und Gedankenaustausch beitragen?
Was haben die entfremdeten Gesellschaften im Rahmen eines Dialogs und Gedankenaustauschs anzubieten?
Auf irgendein Ergebnis eines Dialogs zwischen solchen Gesellschaften zu warten, ist ein Trugschluss. Ein Dialog kommt nämlich nur dann zustande, wenn die Dialogpartner auch etwas anzubieten haben und sich durch den Dialog gegenseitig zu verbessern suchen.
An dieser Stelle soll auf einen Hauptaspekt verwiesen werden: Hin und wieder hört man von Dialogsitzungen an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Ländern der Welt, aber leider sind die Muslime, die sich als Dialogpartner für den Gedankenaustausch anbieten, nicht kompetent genug.
Manche dieser Leute haben keine richtige und praktische Überzeugung vom Islam. Es ist ersichtlich, dass solche Menschen nicht in der Lage sind, einen Gedankenaustausch zu führen. Sie werden sich fremdem Gedankengut anpassen, anstatt Gedanken auszutauschen. Wir können nur Fortschritte erzielen, wenn wir mit Überzeugung und Sicherheit und mit einer klaren und realen Erkenntnis vom Islam im Dialog zwischen Völkern und Kulturen auftreten und das anbieten, was wir haben, und das annehmen, was uns im Rahmen der Gebote erlaubt ist.
Ein anderer erwähnenswerter Aspekt ist, dass grundsätzlich diejenigen, die einen Dialog verweigern, in ihrem Gedankensystem nicht gefestigt sind und sich entfremdet und ohne feste Rückendeckung fühlen.
Warum sollte sich der Islam, der ein hervorragendes und starkes Gedankensystem und eine feste Grundlage hat, vor dem Dialog fürchten und diesen verweigern?
Vielleicht taucht hier die Frage auf, warum die Muslime nicht in fortschrittlichen und mächtigen Positionen sind, wo der Islam doch all die bewegenden Begabungen und Talente in sich birgt. Diese Frage beantwortet uns der französische Schriftsteller, Orientalist und Soziologe an der Pariser Universität Sorbonne, Maxim Rodinson in seinem Buch “Islam und Kapitalismus”. Er sagt:
“Die Muslime haben den Islam nie in seiner wahren Form praktiziert, um daraus entstehende Früchte ernten zu können.”
Damit wir die Misere der islamischen Welt verstehen, warum sie trotz einer sehr starken und reichen Philosophie und Denkweise noch keine Fortschritte erreicht hat, sollen wir seiner Meinung nach die westlichen, sozialwissenschaftlichen Auslegungen über die Geschichte der islamischen Gesellschaften ignorieren, weil jede Gesellschaft ihre eigentümlichen Eigenschaften hat.
Quelle:
© Institut für Human- und Islamwissenschaften e.V.
Rationalität und Religion ISBN: 3-937050-17-5