Dr. M. Razavi Rad
Die Kenntnis von der Moral, der Ethik und den Verhaltensweisen der edlen Propheten von großem Nutzen für uns und eine Hilfe darin, uns an ihnen ein Vorbild zu nehmen.
Was aber sind gutes Verhalten, Moral und Ethik?
Was das gute Verhalten angeht, so ist dies der positive Wert, den die rechtmäßige Handlung erreichen soll. Wie zum Beispiel die verschiedenen Disziplinen des Bittgebets und die guten Sitten und der Anstand für das Zusammensein mit Freunden und Verwandten. Hinsichtlich der Anwendung sind sich die Einsichtigen und Verständigen unter den Menschen ausnahmslos ebenso einig wie darin, dass dies zu befürworten ist; allerdings gehört der Begriff des Guten hinsichtlich der Verhaltensnormen zu den Grundbegriffen, deren Umsetzung je nach den unterschiedlichen und spezifischen Zielen der verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich ausfällt. Aus diesem Grund müssen wir notwendigerweise von einer Unterschiedlichkeit der zwischenmenschlichen Verhaltens-formen sprechen.
So ist das gute Verhalten in jeder Gemeinschaft vergleichbar mit einem Spiegel, der die Lebensziele der betreffenden Gemeinschaft entsprechend den moralischen Besonderheiten, nach denen sie erzogen wurde, widerspiegelt.
Gutes Verhalten und Benehmen sind aber noch nicht Ethik und Moral. Diese sind nämlich Eigenschaften, die fest in der Seele jedes einzelnen verwurzelt sind. Die Moral bildet sich aus einer Anzahl von verschiedenen, positiven Strukturen der einzelnen Handlungen, die vom Menschen getätigt werden und von seinen eigenen geistigen Eigenschaften herrühren. Zwischen diesen beiden Dingen besteht also ein gewaltiger Unterschied.
Gutes Verhalten gehört zu den Resultaten der Ethik und der Moral, während die Ethik insbesondere wegen ihres spezifischen Zwecks eine Unabdingbarkeit der Gesellschaft ist.
Das angestrebte Lebensziel des Menschen ist, was sein gutes Verhalten in seinen Taten zum Ausdruck bringt und seinem Geist einen Weg weist, von dem er nicht abweicht, wenn er eine Tat ausübt, um diesem Ziel näher zu kommen. Und da es zum Wesen des Islams gehört, alle Bereiche des Lebens zu erfassen, ohne dabei auch nur den kleinsten Winkel auszulassen, hat dieser den Horizont des guten Verhaltens für das Leben erweitert und für jede nur erdenkbare Handlung einen positiven Wert verzeichnet, der dessen Ziel und Zweck widerspiegelt. Dabei gibt es in Überzeugung und Praxis keinen globaleren und umfassenderen Zweck und kein universelleres Ziel als das Bekenntnis zur Einheit Gottes, Des über jeden Makel Erhabenen. Dies bedeutet für den Menschen, davon überzeugt zu sein, dass er einen Gott hat, von Dem alles ausgeht und zu Dem alles zurückkehrt. Sein sind die schönsten Namen und das allerhöchste Gleichnis. Dementsprechend lebt, wirkt und handelt der Mensch mit Taten, die seine Untergebenheit vor Gott und die Untergebenheit jeder Sache widerspiegeln. Auf diese Weise wird das Einheitsbekenntnis sowohl in äußerer wie auch in innerer Form verwirklicht, und die echte und reine Untergebenheit erscheint, in Worten und Taten und allen anderen Dimensionen des Daseins, unbedeckt und unübersehbar.
So ist also das gute Verhalten des Prophetentums die Gestalt des Bekenntnisses zu Gottes Einheit in Wort und Tat.
Wenn wir uns das vorbildhafte Verhalten der Propheten genauer anschauen, sehen wir, dass der Lehrer oder das Vorbild unbedingt die Eigenschaften besitzen muss, die er dem Schüler mitteilen will. So ist es normalerweise unmöglich, dass ein feiger Lehrmeister jemanden zu einer mutigen und tapferen Person ausbildet. Oder aber auch, dass ein in seinen Ansichten und Ideen freier Gelehrter aus einer engstirnigen, parteigeistigen und fanatischen Schule hervorgeht. So spricht auch Gott, Der Erhabene:
أَفَمَنْ يَهْدِي إِلَى الْحَقِّ أَحَقُّ أَنْ يُتَّبَعَ أَمَّنْ لاَ يَهْدِي إِلاَّ أَنْ يُهْدَى، فَمَا لَكُمْ كَيْفَ تَحْكُمُونَ
“Ist wohl jemand, der zur Wahrheit leitet, nicht würdiger, dass man ihm folge, als jemand, der nicht leitet, es sei denn, er würde selbst geleitet? Was ist mit euch, wie urteilt ihr nur?”
[Sure Yunus (10), Vers 35]
أَتَأْمُرُونَ النَّاسَ بِالْبِرِّ وَتَنْسَوْنَ أَنْفُسَكُمْ
“Wollt ihr etwa den Menschen gutes Benehmen gebieten und vergesst dabei euch selbst?”
Und Er, Der Erhabene, berichtet, wie Šu’ayb zu seinem Volk sprach:
وَمَا أُرِيدُ أَنْ أُخَالِفَكُمْ إِلَى مَا أَنْهَاكُمْ عَنْهُ، إِنْ أُرِيدُ إِلاَّ الإِصْلاَحَ مَا اسْتَطَعْتُ
“Und ich will nicht euch gegenüber das tun, was ich euch verwehre; ich möchte nur Wohlergehen stiften, wie ich es vermag.”[Sure Hud (11), Vers 88]
Aus all diesen Gründen nun ist es unerlässlich, dass der Lehrer und Erzieher völliges Vertrauen und festen Glauben in seine Lehren und seine Erziehung legt. Denn der Mensch, der diesen Glauben an das, was er sagt, nicht besitzt, ja selbst der Heuchler, der sich hinter rechtschaffenen Taten und Worten verbirgt, die nach außen hin den Anschein eines aufrichtigen und reinen Glaubens geben, kann niemand anderen erziehen als jemanden, der ihn in seinem schlechten Geist repräsentiert.
Auch wenn die Zunge in der Lage ist, zwischen sich und dem Herzensinneren eine Differenz zu schaffen, indem sie das spricht, was Herz und Geist nicht sprechen, so ist doch andererseits das Wort eine Handlung – in diesem Falle Heuchelei – und zeugt wiederum vom Geist der tatsächlichen Überzeugung. Wie sollte also die Tat der Natur des Täters widersprechen? Von dieser Tatsache ausgehend erwähnt Gott seine Propheten im koranischen Text zunächst in zusammenfassender Weise und erinnert im Anschluss daran, dass Er sie durch Seine göttliche Weisung, der Leitung zur göttlichen Einheit, ausgezeichnet hat, ohne noch irgendeinen weiteren Anhaltspunkt zu nennen. Nichts weiter wird in diesem Zusammenhang in der Schrift für noch nennenswert oder erwähnenswert erachtet. Darauf weißt schließlich Sein Wort hin, wenn Er sagt:
وَلَوْ أَشْرَكُوا لَحَبِطَ عَنْهُمْ مَا كَانُوا يَعْمَلُونَ
“Und hätten sie (mit Ihm oder neben Ihm) Teilhaber genommen, so wären ihre Taten gewiss zunichte geworden.”
[Sure al-An'am (6), Vers 88]
Wobei der Erhabene keinen weiteren Widerspruch zu dem nannte, was Er für sie an Leitung und Weisung wollte, als dass man Ihm andere Dinge zum Teilhaber setzt. Und Er leitete sie zu nicht mehr und nicht weniger als zum Bekenntnis und zur Erkenntnis Seiner göttlichen Einheit.
Quelle:
© Institut für Human- und Islamwissenschaften e.V.
Rationalität und Religion ISBN: 3-937050-17-5