Dr. M. Razavi Rad
Für Rumi und andere Mystiker gibt es zwei Formen der Existenz: ein wirkliches Sein und ein unwirkliches. Das echte und ursprüngliche der beiden ist selbstverständlich das göttliche Sein, während alles andere nur relativ existiert. Doch für Rumi bedeutet dies nicht, dass der Mensch nicht an der Wirklichkeit des göttlichen Seins teilhaben kann.
Im Sinne, dass alles zu seinem ersten Urquell zurückkehrt, glaubt Rumi, dass der Mensch, d.h. seine eigentliche Wirklichkeit, also seine Seele, einst zu ihrem ersten Ursprung zurückfindet. Da die Seele aber ihren Ursprung nicht im Kosmos sondern im Logos hat und von Gott eingehaucht wurde, was von Rumi aber transzendental und jenseits von Raum und Zeit verstanden wird, kehrt sie auch nur zu Gott zurück. So überwindet Rumi jede Furcht vor dem Tod. Für ihn besteht das höchste Ziel des Menschen auf seiner Existenzialreise darin, sich im Göttlichen zu verlieren.
Diese Stufe, die er “Entwerdung” (al-Fana’) nennt, vernichtet alles Vergängliche am Menschen und lässt ihn an der Ewigkeit teilhaben. In diesem Sinne ist auch der Mensch für Rumi ewig und immerwährend. Die Entwerdung ist jedoch keine Vernichtung für ihn selbst sondern für die Unwirklichkeit.
Rumi vergleicht die Entwerdung des Menschen in Gott mit dem Verschwinden des Kerzenlichts im Sonnenlicht. Zwar existiert im Sonnenlicht alles weiter, ist also noch da, doch der schwache Schein der Kerze ist in der wahren Helligkeit “entworden”. Mit Berufung auf den Koran und die Sunna betont der Meister dabei, dass dieser Aufstieg rein spiritueller Natur ist.
Quelle:
© Institut für Human- und Islamwissenschaften e.V.
Rationalität und Religion ISBN: 3-937050-17-5